Betet für Afghanistan!

Als der schnelle Vormarsch der Taliban und die Evakuierungen aus Kabul in aller Munde waren, habe ich auf Facebook einen Aufruf geteilt: „Betet für Afghanistan!“ – Der erste Kommentar ließ nicht lange auf sich warten: Beten ist in diesem Fall ziemlich sinnlos sei, weil die Taliban ja an den gleichen Gott glauben wie wir. Und außerdem sei Religion sowieso die Ursache der meisten Kriege.

Mein erster Kommentar war: Gerade weil wir denselben Gott haben, darum sollte er doch der richtige Ansprechpartner sein, wenn sich seine Gläubigen gegenseitig die Köpfe einschlagen. Wenn die Kinder sich streiten, sind ja auch die Eltern die besten Streitschlichter.

Da fiel mir auf: derselbe ist nicht der gleiche. Im Deutschen gibt es da ja einen feinen Unterschied. „Dasselbe“ nur einmal geben: Meine Frau und ich schlafen im selben Bett. Das gleiche Bett gibt es in anderen Häusern auch, denn wir haben es im dänischen Bettenlager gekauft. Diese Betten gleichen unserem, sie sehen genauso aus. Aber dasselbe Bett gibt es nur in unserem Schlafzimmer.

Es wird unter Theologen manchmal diskutiert, ob Muslime und Christen nun an den gleichen Gott glauben. Und ich finde, diese Frage kann man kaum verneinen, auch wenn es zunächst eine Unterstellung ist, dem anderen zu sagen, an welchen Gott er glaubt. Übrigens kommt dies Ansicht aus dem Koran, denn Mohammed trat ja mit dem Sendungsbewusstsein auf, auch Juden und Christen zu erklären, wie Gott wirklich ist. Ich verstehe, dass manche Christen sich dagegen wehren und sagen: Christen und Muslime haben nicht denselben Gott, die Unterschiede sind doch offensichtlich groß. Wir glauben an den Dreieinigen Gott, und Vater unseres Heilands Jesus Christus.

Aber trotzdem kann auch das Gegenteil nicht wahr sein: Es gibt keinen Gott außer Gott. Auch arabische Christen nennen Gott Allah. So heißt er nun mal. Der Gott der Muslime ist doch kein anderer! Als ob es im Himmel verschiedene Götter gäbe, einen für die Christen, einen für die Muslime, und (k)einen für die Atheisten womöglich. Wenn Gott wirklich Gott ist, dann ist er für alle derselbe, Schöpfer aller Menschen, Ursprung und Ziel unseres Lebens. Da kann es nur einen geben, und der ist derselbe, egal wie wir ihn nennen.

Aber ist er auch der gleiche? Ich finde, diese Frage darf man stellen. Wir Christen glauben daran, dass Gott uns sein liebendes Herz in dem Menschen Jesus Christus gezeigt hat. Wir glauben, dass er uns rechtfertigt durch seine Vergebung und uns befreit von unserer Sünde allein aus Gnade. Muslime sehen das anders. Auch sie glauben an den einen Gott, den Schöpfer, der seinen Geschöpfen gerne gnädig ist und sie zur Verantwortung zieht für ihre Taten. Aber unsere Rede von Gott als dem Dreieinigen – Vater, Sohn und Heiliger Geist – lehnen sie vehement ab.

Ich glaube, wenn Gott letztlich in allen Religionen derselbe ist, dann lohnt es sich ganz besonders, miteinander zu sprechen, was dieser Gott von uns erwartet – und das ist nun einmal untrennbar verbunden mit der Frage, wie Gott ist. Denn in jeder Vorstellung von Gott sind auch die Werte und Tugenden festgeschrieben, für die wir uns einsetzen.

Wenn Gläubige meinen, für ihren Gott töten zu müssen, dann ist das nicht der gleiche Gott wie meiner – auch wenn ich überzeugt bin, dass ihr Gott letztlich derselbe ist wie meiner.

Denn: Wo du dein Herz hast, da ist auch dein Gott. So wie wir uns Gott vorstellen, so werden wir auch handeln. Wenn unser Herz erfüllt ist von der Rache und dem Zorn Gottes, dann werden auch Rache und Zorn unser Handeln prägen. Wenn unser Herz erfüllt ist von der Liebe und Freigiebigkeit Gottes, dann werden auch Liebe und Freigiebigkeit unser Handeln prägen. Und auf einmal geht es nicht mehr nur um Afghanistan, sondern um uns mit unserem Glauben. Und zwar um das, was wir wirklich glauben.

Denn ob wir nun Christen sind oder Muslime, ob wir Atheisten sind oder offen-für-alles, die Frage bleibt: Was erfüllt das Herz wirklich? Sind es nicht oft Gier, Bequemlichkeit, Gewohnheit oder Eitelkeit? Wo du dein Herz hast, da ist auch dein Gott. Denken wir mal darüber nach, wo unser Herz wirklich ist. Und legen wir das kritisch auf den Prüfstand, auch auf den Prüfstand unserer eigenen religiösen Vorstellungen.

Ich glaube, weil Gott derselbe ist, egal welchen Namen wir ihm geben, darum lohnt es sich, zu ihm um Frieden zu beten. Ich glaube, weil Gott einer ist, darum lohnt es sich, zu fragen wie er ist.

Es grüßt Ihr Pfarrer Otto Guggemos