Die Zwölf Kleinen Propheten

Wer bei diesem Titel zuerst an die Sieben Zwerge denkt, liegt ein bisschen daneben. Die Zwölf Kleinen Propheten sind ein eine Sammlung von Prophetenbüchern im Alten Testament (AT). Sie stehen in unserer Bibel hinter den großen Propheten Jesaja, Jeremia und Hesekiel, dazwischen Daniel. Schon seit vorchristlicher Zeit werden sie in einem gemeinsamen Buch überliefert.

Ich möchte Ihnen nacheinander die zwölf kleinen Propheten vorstellen. Jeder hat seine ganz eigene Geschichte.

Hosea

Hosea wirkte in Israel während der langen Regierungszeit des Königs Jerobeam II zwischen 587 und 747 v.Chr. Damit ist Hosea einer der ältesten unter den Schriftpropheten des AT.

Seit dem Tod Salomos war das Volk in zwei Staaten zerfallen, Israel im Norden und das kleine Juda mit der Hauptstadt Jerusalem im Süden. Die beiden Staaten waren durch den gemeinsamen Glauben an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs verbunden, aber auch die kanaanäischen Fruchtbarkeitskulte von Baal und Astarte spielten eine große Rolle. Die Hauptstadt von Israel hieß Samaria, gelegen im Hochland ein paar Tagesreisen nördlich von Jerusalem. Israel erlebte zu dieser Zeit eine wirtschaftliche Blüte, die sich sowohl in Ausgrabungen als auch in mesopotamischen Schriftzeugnissen niederschlägt. Weil im 8. Jahrhundert die Großreiche Ägypten, Assyrien und Babylon das Land weitgehend in Ruhe ließen, konnte die Oberschicht beträchtlichen Wohlstand erwerben.

Das Wort des Herrn „geschah“ zu Hosea, heißt es. Irgendwie wurde ihm bewusst, dass Gott durch ihn reden möchte und dass er seinem Volk eine Botschaft von Gott zu sagen hat. Sie richtet sich an seine Heimat, das Nordreich Israel. Hosea kann einfach nicht anders, er muss es in aller Öffentlichkeit bezeugen: Sein Volk hat seinen Gott vergessen und seine Berufung verlassen.

Was wir über Hoseas Leben erfahren ist ziemlich krass: Hoseas Ehe soll ein Zeichen sein für die Liebe Gottes zu seinem Volk – und für die Untreue seines Volkes Gott gegenüber. Hosea heiratet eine „Hure“. Das hebräische Wort meint wohl eher eine „unzüchtige“ Frau, als eine „professionelle“ Prostituierte. Es könnte sein, dass diese Frau namens Gomer in der patriarchalischen Gesellschaft Israels in großer Not war, sich mit sexuellen Dienstleistungen finanziell über Wasser hielt – und unter normalen Umständen wenig Hoffnung auf den gesellschaftlich anerkannten Ehestand gehabt hätte.

„Denn das ganze Land ist mir untreu geworden und läuft wie eine Hure fremden Göttern nach.“ (Hosea 1,2) Das hat nicht nur religiöse, sondern auch ethische und politische Bedeutung, denn jede Religion steht für ihren Wertekanon. Hosea kritisiert: „Ihr Silber und Gold legen sie in Götzenbildern an – so ist es am sichersten verloren! Ich verwerfe euren Stiergötzen.“ (8,4-5)

Selbst wo der „richtige“ Gott verehrt wird, kritisiert Hosea, dass der Lebenswandel nicht zu Gott passt. „Treue will ich von euch und nicht, dass ihr mir Tiere schlachtet! Ihr sollt mir nicht Brandopfer bringen, sondern erkennen, wer ich bin und was mir gefällt.“ (6,6)

Aus heutiger Sicht würde man Hosea religiöse Intoleranz vorwerfen. Er erträgt es nicht, dass in Israel andere Götter verehrt werden. Hosea geht es um die Identität des Gottesvolkes. Man versteht es besser, wenn man weiß, worum es im Kult des kanaanäischen Gottes Baal ging: Baal heißt übersetzt „Chef“, oder „Boss“. Dieser Gott stand für Männlichkeit und Siegeswillen, für Zeugungskraft, für reiche Ernten und große Rinderherden. Darum ist sein Bild der junge Stier oder das Goldene Kalb. In Samaria wurde ein goldenes Kalb verehrt: „Das Kalb aber – ein Handwerker hat es gemacht – ist doch kein Gott!“ (8,6) Zu Baal gehörte Astarte. Ihre antiken Bildnisse sind ziemlich erotisch. Sie steht für Fruchtbarkeit und Sex. Es gab in ihrem Kult sogar Prostitution: „Ihr selbst geht ja mit den Huren beiseite und opfert mit den Tempeldirnen.“ (4,14)

Der Materialismus und Kapitalismus unserer heutigen Zeit, der Körperkult und die Sexualisierung, die Männer- und Frauenbilder in Fernsehen und Internet, sie sind dem Kult von Baal und Astarte nicht unähnlich. Darum ist Hoseas Botschaft uns vielleicht näher als uns lieb ist. Unser Gott hat nun mal eine Passion für alles was, klein und zerbrechlich ist. Wenn wir Gott vergessen und unsere Mitmenschen und seine Geschöpfe missachten, ausbeuten, zerstören, ziehen wir seinen Zorn und seine Strafe auf uns und verwirken seinen Segen.

Das Bild von der untreuen Ehefrau zieht sich durch das Prophetenbuch, und es ist auch ein Bild für Gottes Liebe auch zu uns. Gott wird uns immer lieben, auch wenn wir ihm untreu sind. Gott möchte, dass wir ihn lieben und mit ihm durchs Leben gehen, denn „Die Gebote des Herrn weisen den Weg zu einem erfüllten Leben.“ (14,10)

Joel

Das zweite Buch unter den Zwölf Kleinen Propheten trägt den Namen Joel.

Es beginnt mit dem Bericht von einer Heuschreckenplage. Noch heute gehören Heuschreckeschwärme zu den schlimmsten Naturkatastrophen auf dem Afrikanischen Kontinent. Die Tiere können sich exponentiell vermehren und erheben sich dann zur Futtersuche in Schwärmen von furchteinflößender Dimension. Erst im Januar 2020 war wieder Kenia ein Schwarm unterwegs, der alleine eine Fläche 2400 km² einnahm. Die in Joel 1 zitierte Plage kann natürlich auch eine Metapher sein: Oft machten sich Feinde zahlreich und gefräßig wie die Heuschrecken über das Land her. Israel liegt auf einem schmalen Streifen fruchtbaren Landes zwischen Mittelmeer und Arabischer Wüste. Dieser diente den großen Kriegsmächten als Durchzugsgebiet, von der Schlacht bei Megiddo 1457 v. Chr. — die früheste historisch bezeugte Schlacht der Menschheitsgeschichte — bis zum Durchzug der Napoleonischen Heere im Jahr 1799 n.Chr. In alten Zeiten versorgten sich Heere aus dem Gebiet, das sie durchzogen, durch Plünderung, Raub, Tribut oder Zerstörung.

Wo solches Unheil über ein Land kommt, suchen die Menschen nach Erklärungen. In der Antike wurden Kämpfe gern als Krieg der Götter gedeutet, z.B. in Homers Kampf um Troja. Das kam für die monotheistische Religion des Alten Testaments nicht in Frage. Wenn es nur einen Gott gibt, so hält Joel fest, dann ist er auch Herr über die Feinde Israels. Der „Tag des Herrn“ zu einem Tag es Gottesgerichtes, das Israel und seine Feinde gleichermaßen fürchten sollen. Joel ruft zur Umkehr zu Gott auf: „Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider und kehrt um zu dem HERRN, eurem Gott! Denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte, und es reut ihn bald die Strafe.“ (2,13)

Aber der Gott des Alten Testaments ist ein Gott der Barmherzigkeit. Joel, Kapitel 3 enthält eine Heils-Prophetie, die sich am Pfingstfest erfüllt hat. Petrus hat diesen Text in seiner Pfingstpredigt ausgelegt (Apostelgeschichte 2,16-21). Es geht um den Heiligen Geist. Bisher war er den großen Heiligen des Alten Testaments vorbehalten. Jetzt gießt Gott ihn aus „über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.“ (3,1). Begeisterung bricht sich Bahn. Durch Gottes Geist kann jeder Mensch eine persönliche Beziehung zu Gott erleben. Und das abschließende Wort: „Wer des HERRN Namen anrufen wird, der soll errettet werden.“ (3,5) setzt Petrus um in den Aufruf, sich taufen zu lassen. Die erste christliche Gemeinde entsteht, der Grundstein der weltweiten Christenheit.

Über die historische Person des Propheten Joël ben Petuël wissen wir praktisch nichts. Es fällt auf, dass Joel keinen König von Juda oder Israel nennt; auch die Reiche von Assur und Babylon kommen nicht vor. Das führt uns in die Zeit der Perser. Im 4. Jh. zitterten die Untertanen des Schahs vor den Eroberungszügen Alexanders des Großen.

Die prekäre Lage der Juden in dieser Zeit ist mit Händen zu greifen. Ihre jungen Leute landen auf den Sklavenmärkten in Europa: „Sie haben das Los um mein Volk geworfen und haben Knaben für eine Hure hingegeben und Mädchen für Wein verkauft und vertrunken.“ (4,3) Menschenhandel und Sex-Trafficking. Die Übeltäter wohnen in den Handelsstädten am Mittelmeer: „Tyrus und Sidon und alle Gebiete der Philister“ (4,4) Der Prophet kündigt den Sklavenhändlern ein Strafgericht an, das sich bald erfüllte: Sidon wurde 343 zerstört durch die Perser, Gaza und Tyrus 332 durch Alexander.

Gott ist der Herr der Geschichte, nicht Alexander der Große, nicht Putin, nicht Biden. Und auch wenn die Natur uns plagt wie jetzt mit dem Corona-Virus, ist das auch kein blindes Schicksal. Am Ende muss alles dem Plan Gottes dienen. Selbst die Kreuzigung Jesu geschah zu unserem Heil. Wie die Jünger damals, so begreifen auch wir das erst durch den Heiligen Geist. Der Name des Propheten Joel, Jo-El ist nämlich Programm: Jahwe ist Gott – und sonst keiner!

Auf, auf, gib deinem Schmerze und Sorgen gute Nacht!
Lass fahren, was dein Herze Betrübt und traurig macht!
Bist du doch nicht Regente der alles führen soll;
Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.

Liedtext: Paul Gerhardt 1653, EG 361,7

Amos

„Dies ist's, was Amos, der unter den Schafzüchtern von Tekoa war, gesehen hat über Israel...“ Dieser Amos gehört für mich auf die Liste der zu unrecht vergessenen Menschen, die die Welt verändert haben. Amos von Tekoa wirkte in Israel von 760-750 v.Chr. und war einer der ersten, die sich für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte einsetzte: „Höret dies, die ihr die Armen unterdrückt und die Elenden im Lande zugrunde richtet…“

Das Geld war gerade erfunden worden, und mit ihm Zins und Wucher: Es war einfach zu praktisch für die wohlhabende Oberschicht: War die Ernte schlecht und die Bauern brauchten Kredit, lieh man auf Zinsen und verdiente bei nächsten guten Ernte doppelt. Folgten allerdings mehrere schlechte Jahre, wurde der Schuldner nach und nach enteignet, bis zum Gang in die Schuldknechtschaft: „damit wir die Armen um Geld und die Geringen um ein Paar Schuhe in unsere Gewalt bringen und Spreu für Korn verkaufen“

Noch heute zeigen viele mit dem Finger auf andere, um sich selbst nicht hinterfragen zu müssen. Viele sagen heute: Solange China und USA kein CO2 einsparen, braucht Deutschland auch nichts zu ändern…,solange Dänemark und Ungarn Flüchtlinge ausweisen soll Deutschland sich nicht vordrängen... Amos begegnet dem mit einer wohlüberlegten Rede, die in Amos 1-2 überliefert ist: Über jedes Nachbarvolk spricht er ein Fluchwort aus, wie es damals die Propheten taten (um ihren Königen zu gefallen). Jedem Nachbarn werden seine Verfehlung vorgehalten und Gottes Gerechtigkeit angedroht. Die anderen sind schuld, das hört man gerne. Aber als der Kreis geschlossen ist (auch seine Heimat Juda spart Amos nicht aus), wendet er sich an seine Zuhörer: „Um der drei, ja der vier Frevel willen derer von Israel will ich es nicht zurücknehmen, weil sie die Unschuldigen um Geld und die Armen um ein Paar Schuhe verkaufen. Sie treten den Kopf der Armen in den Staub und drängen die Elenden vom Wege. Sohn und Vater gehen zu demselben Mädchen, um meinen heiligen Namen zu entheiligen. Und bei allen Altären strecken sie sich aus auf den gepfändeten Kleidern und trinken Wein vom Gelde der Bestraften im Hause ihres Gottes.“ Ja, wenn es um Gerechtigkeit geht, findet Amos drastische Worte: „Hört dies Wort, ihr fetten Kühe auf dem Berge Samarias, die ihr den Geringen Gewalt antut und schindet die Armen und sprecht zu euren Herren: Bringt her, lasst uns saufen!“

Amos hatte auch seine eigene Meinung zu den Naturkatastrophen seiner Zeit: Dürre, Schädlingsplage oder Epidemie sollten Anlass zu gesellschaftlicher Selbstkritik sein. Amos meinte, wir sollten dann nicht an der Gerechtigkeit Gottes zweifeln, sondern an unserer Selbstgerechtigkeit. „Geschieht etwa ein Unglück in der Stadt, und der HERR hat es nicht getan?“ - eine steile Aussage! „dennoch seid ihr nicht umgekehrt zu mir, spricht der HERR.“

„Ich bin kein Prophet noch ein Prophetenjünger, sondern ich bin ein Rinderhirt, der Maulbeerfeigen ritzt. Aber der HERR nahm mich von der Herde und sprach zu mir: Geh hin und weissage meinem Volk Israel!“ Amos war Landwirt. Er kam aus Juda, aus der Gegend um Jerusalem, ins Nachbarland Israel, um dort in der Hauptstadt Samaria den Zorn Gottes zu verkünden. Ein zorniger Bauer, der nicht schweigen könnte, wenn das Unrecht zum Himmel schrie. „Der Löwe brüllt, wer sollte sich nicht fürchten? Gott der HERR redet, wer sollte nicht Prophet werden?“ Zeit Lebens blieb Amos ein Ehrenamtlicher, der viel opferte für seine Berufung. Für mich einer der großen Helden, der eintrat für soziale Gerechtigkeit.

Pfr. Otto Guggemos

 

Obadja

Obadja ist ein kleines Buch, das kürzeste im ganzen Alten Testament. In 21 Versen verkündet der Prophet Gottes Zorn über das Nachbarvolk Edom. Der historische Hintergrund ist dieser: Im Jahr 587 v.Chr. wurde Jerusalem durch König Nebukadnezar II. von Babylon erobert und zerstört. Die Oberschicht—Königshof, Tempelpersonal, Handwerker—wurden gewaltsam nach Babylon umgesiedelt, in die „Babylonische Gefangenschaft“. Die Kleinstaaten am Rande des Imperiums waren Babylon schon länger tributpflichtig gewesen. Gemeinsam hatte man sich losgesagt, untereinander Bündnisse geschlossen und auf Unterstützung durch Ägypten gehofft. Edom hatte sich aber aus diesem Bündnis zurückgezogen, um dann die Babylonische Strafexpedition zu unterstützen—natürlich um sich opportunistisch zu bereichern. Von diesen Ereignissen lesen wir auch bei den anderen Zeugen dieser Zeit.

Wer aber waren die Edomiter? Wir wissen nicht viel über diese Ackerbauern und Viehzüchter, die zwischen dem toten Meer und dem Golf von Akaba siedelten. Zeitweise waren auch Teil des Reiches von König David. Später tauchen dort die Idumäer—der Name Idumäa könnte die gräzisierte Form von Edom sein. Auch die berühmte Stadt Petra ist—viel später—auf edomitischem Gebiet entstanden.

1. Mose 25ff identifiziert Esau, den Zwillingsbruder Jakobs als Stammvater Edoms. Edom heißt auf hebräisch einfach „rot“ - wie das Linsengericht, für das Esau sein Erstgeburtsrecht verkauft hat. Jakob gilt als Stammvater Israels, Israel und Edom als Brüdervölker eng verbunden wie Zwillinge. Allerdings erzählt die Geschichte von Jakob und Esau vor allem vom Zwist der Brüder; vielleicht auch das ein Widerhall der unglücklichen gemeinsamen Geschichte der benachbarten Völker.

Eine letzte Fußnote: Herodes der Große, der böse König aus der Weihnachtsgeschichte war ebenfalls Idumäer. Er hatte den Thron in Jerusalem mit Hilfe der Römer eingenommen—und damit zum römischen Vasallenstaat gemacht. Im Matthäusevangelium befiehlt er die Ermordung aller Babys in Bethlehem als er durch die Weisen aus dem Morgenland von der Geburt des Messias hört. So weit geht die Geschichte vom Neid unter Brüdern, die mit dem Mord Kains an Abel beginnt.

In der Bibel wird die Bosheit der Menschen eben nicht beschönigt. Sie wird vielmehr aufgedeckt, weil Gott uns die Erlösung in Jesus Christus schenken möchte. Im Hebräischen ist die Schreibung von Edom und Adam eine und dieselbe. Was hier über
Edom ausgesagt wird, gilt für jeden Menschen: Was ihr Israel angetan habt, wird auch euch geschehen.

 

In der jüdischen Literatur wird „Edom“ manchmal als Synonym für das Christentum verwendet, das als Bruder des Judentums diesem ebenfalls in den Rücken fiel. So in diesem Gedicht von Heinrich Heine:

An Edom!

Ein Jahrtausend schon und länger,
Dulden wir uns brüderlich,
Du, du duldest, daß ich atme,
Daß du rasest, dulde Ich.

Manchmal nur, in dunkeln Zeiten,
Ward dir wunderlich zu Mut,
Und die liebefrommen Tätzchen
Färbtest du mit meinem Blut!

Jetzt wird unsre Freundschaft fester,
Und noch täglich nimmt sie zu;
Denn ich selbst begann zu rasen,
Und ich werde fast wie Du.

Heinrich Heine
(1797-1856)

 

Jona

Das Buch des Propheten Jona ist ein wunderschönes Stück Literatur. In vier Kapiteln ist es klar gegliedert, spannend und anschaulich erzählt.

Der Prophet Jona bekommt von Gott den Auftrag, in die Weltstadt Ninive zu gehen und dort Gottes Gericht anzukündigen. Ninive war die Hauptstadt des Assyrischen Weltreiches und Völker zitterten vor diesem Namen. Nun sagt Gott zu Jona: Die Menschen dort sind böse, darum wird die Stadt vernichtet werden. Er soll hin und ihnen das sagen. Es ist ziemlich nachvollziehbar, dass Jona das Gegenteil davon tut und stattdessen in Jaffa ein Schiff nach Spanien besteigt. Das war damals das westliche Ende der Welt, dort ist er dem Auftrag Gottes so fern wie es nur geht.

Das Schiff aber wird auf dem Weg von einem Sturm bedrängt, droht zu sinken. Die Besatzung wirft die Ladung über Bord, und alle beten verzweifelt zu ihren Göttern. Jona schläft unter Deck. Die Seeleute deuten das Unwetter als göttliche Strafe und wollen nun wissen, wer den Zorn der Götter auf sich gezogen hat. Das Los fällt auf Jona und er bekennt: „Ich diene dem Schöpfer des Himmels und der Erden und ich bin vor seinem Auftrag davongelaufen. Werft mich ins Meer, dann wird sein Zorn sich legen.“

Als sie das tun, wird Jona von einem großen Fisch verschlungen. In seinem Bauch singt er einen Psalm über die Tiefe, Angst und Rettung. Der Jona-Psalm im zweiten Kapitel ist ebenso unbekannt wie schön. Jesus hat die Geschichte von Jona, der drei Tage im Bauch des Fisches war, als Prophezeiung für seinen Tod und seine Auferstehung am dritten Tag gedeutet.

Nach drei Tagen spuckt der Fisch Jona wieder an Land (natürlich nicht in Ninive, wie es oft dargestellt wird, denn Ninive liegt ja nicht am Mittelmeer). Da hört Jona noch einmal den Auftrag: Geh nach Ninive und sage den Menschen, ihre Sünde wird ihre Strafe finden und die Stadt geht unter. Diesmal macht sich Jona auf.  Ich stelle ihn mir vor, wie er etwas verloren in der großen fremden Stadt auf einer Bananenkiste steht und eine kleine Strafpredigt hält.

Er sagt es nur einmal, aber: die Leute bekehren sich. Vom König bis zum Rindvieh tun sie Buße in Sack und Asche.

Jona hat es sich derweil im Schatten bequem gemacht, auf einer Anhöhe, von der aus er den Untergang der Stadt genüsslich beobachten möchte. Zu seinem Glück wächst sogar ein Rizinus, eine Staude, die über Nacht so groß werden kann, dass sie angenehmen Schatten spendet.

Mit Ninive aber geschieht: Nichts. Und Jona ist sauer. Er fühlt sich von Gott betrogen: „Habe ich es nicht gleich gesagt, dann bist du doch wieder gnädig und machst mich zum Gespött der Leute! Deswegen wollte ich doch schon beim ersten Mal nicht gehen.“

Aber Gott hält ihm einen Spiegel vor. Der Rizinus verdorrt über Nacht. Und Gott sagt: »Dir tut es leid um den Busch, obwohl du nichts getan hast, um ihn entstehen zu lassen. Er wuchs in einer Nacht und verging über Nacht. Ninive aber hat über 120.000 Einwohner, die nicht zwischen links und rechts unterscheiden können, ganz zu schweigen von den vielen Tieren. Sollte ich eine so große Stadt nicht schonen?« (Jona 4,10-11)

Mit dieser offenen Frage endet das Buch. Sie hält jedem den Spiegel vor, der sich selbst für gerecht hält und anderen die Strafe Gottes wünscht. Gott hat auch die lieb. Auch die wir verachten, möchte er als seine Kinder in seinem Hause haben. Er möchte unsere und ihre Herzen heilen, und er möchte, dass auch wir ein großes Herz bekommen, wie ER es hat.

 

Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? (Römer 2,4)

 

von Pfr. Otto Guggemos

 

Micha

(von Janine Müller)

Micha ist in der Bibel der 6. der 12 kleinen Propheten. Er selbst mochte es nicht, wenn er Prophet genannt wurde,  da er sich von den „hauptberuflichen“ Propheten differenzieren wollte. Er verkündete jedoch Worte Gottes, die Israel zurechtweisen sollten. Israel bestand zu dieser Zeit aus zwei Teilen Samarien und dem Südreich mit Jerusalem, welche beide Strafe erwarten sollten. Micha lebte wohl zu der Zeit Hoseas und Amos, die wir hier auch bereits kennengelernt haben.

In seinem Buch der Bibel herrscht eine Spannung zwischen Gericht und Hoffnung, denn auf lange anklagende Texte folgen Verse der Zuversicht.

So beginnt die Geschichte mit einer gewaltigen Gotteserscheinung, wie am Berg Sinai zu Beginn der Bibel, doch nicht, um einen Bund mit dem Volk Israel zu schließen, sondern um dieses zu bestrafen. Die obersten Mächte Israels waren zu dieser Zeit nämlich Räuber, Verbrecher und die „offiziellen“ Propheten verkündeten falsche Botschaft. So manipulierten sie gemeinsam das Land, in dem sie die Reichen reicher und die Armen ärmer machten. Dadurch verstießen sie zwar gegen die heiligen Gesetze und wurden dennoch in ihren machtvollen Positionen vom Volk geachtet und gefürchtet. Micha prophezeit jedoch, dass Gott ein Volk über das Land bringen wird, das alles in Schutt und Asche verwandeln wird, zur gerechten Strafe.

Auf diese Nachrichten des Schreckens und Untergangs folgen nach einem wiederkehrenden Schema im Buch Micha hoffnungsvolle Gedichte. Diese kündigen einen Erlöser an, der das Volk wie ein Hirte führen wird und zeichnen den Tag ab, an dem Jerusalem zur heiligen Stätte und es Frieden auf Erden geben wird. Nachdem diese Folge von Gericht und Hoffnung zwei Mal auftaucht, folgt ein längerer Abschnitt mit Freudenbotschaften.

Micha berichtet von einem Propheten des Hauses Davids, der in Bethlehem geboren wird. Alle, die an ihn glauben werden Segen sein und das Böse aus der Welt verbannen. Wir wissen heute, dass hiermit Jesus Christus gemeint war und wir diejenigen sind, die den Auftrag haben, anderen ein Segen zu sein.

Doch es folgt ein weiter Abschnitt voller Vorwürfe, in welchem der bekannte Vers steht: „Es wurde dir Mensch, doch schon längst gesagt, was gut ist und wie Gott möchte, dass du leben sollst. Er fordert von euch nichts anderes, als dass ihr euch an das Recht haltet, liebevoll und barmherzig miteinander umgeht und demütig vor Gott euer Leben führt.“ (Micha 6,8) Genau diese Aufforderungen des Verses hat das gespaltene Volk Israel nicht gehalten, sodass Gottes Gericht folgt.

Jedoch endet das Buch des Micha nicht mit Schrecken und Grauen, sondern erzählt zuletzt von einer Person, die in Schande gelebt hat, genau wie Israel und nach Vergebung bei Gott sucht. Und auch wenn wir Menschen denken, Gnade wäre nicht verdient, so macht Micha deutlich, dass Gottes Charakter dem entgegenhält. So wie er es schon Abraham versprochen hatte, wird er Israel retten.
Und so wie diese Person der Schande Israel sein soll, könnten auch wir damit gemeint sein. Ein jeder von uns, der Mensch ist und sündigt in egal in welcher Weise, braucht die Gnade des Herrn und auch ein jeder von uns wird sie durch Gottes liebenden Gerechtigkeit erhalten. Das ist, was wir aus dem Buch Micha lernen dürfen.

 

Nahum

Nahum, der siebte der kleinen Propheten, ist nur wenigen bekannt. Sein Buch hat einen festen Bezug zu einer ganz bestimmten historischen Situation, vielleicht wird es darum nur selten zitiert.

Es kündigt den Untergang des Assyrischen Weltreiches an. Nahum3,8 berichtet vom Fall Thebens (biblisch No-Amon, heute Karnak oder Luxor) im Jahre 663 v.Chr. an die Assyrer. Assur wiederum wurde 614 bis 612 v.Chr. von den Babyloniern und Medern erobert und zerstört. Wir wissen also ziemlich genau, wann Nahum gelebt hat.

In seinen Prophezeiungen geht es ausschließlich um das Ende des Assyrischen Reiches. Zuerst wird Gott als siegreicher Held besungen, dann die Belagerung der assyrischen Hauptstadt Ninive geschildert um am Ende ihren Untergang zu feiern.

Der Name des Propheten überrascht bei diesen Themen: Nahum heißt „getröstet“. Was soll daran tröstlich sein? Das wird wohl nur verstehen, wer selbst einmal Ungerechtigkeit und Unterdrückung erlebt hat. Juda lag im Einflussbereich Assurs, zahlte Tribut, hat immer wieder die Durchzüge und Plünderungen der assyrischen Heere erdulden müssen.

Die Assyrer waren ein Schrecken für die Nachbarvölker. „Das Neuassyrische Reich war nach neuerem Forschungsstand einzig und allein auf Expansion ausgerichtet. Die eroberten Gebiete wurden durch Deportationen der Bewohner und Steuern so lange ausgeblutet, bis nur eine weitere Expansion in Frage kam, um den Lebensstandard der Führungsschicht zu halten.“ (Wikipedia) Wer im Schatten einer solchen Vernichtungsmaschinerie leben musste, der konnte wohl nur noch auf deren Untergang hoffen.

Ähnliches haben wohl die Völker Osteuropas unter der Nazi-Herrschaft erlebt. Auch hier ging es ja nicht darum, die Völker zu beherrschen, sondern das Ziel des deutschen Krieges im Osten war die Ausbeutung der Völker und die Inbesitznahme ihres Landes. Und auch gegen Nazi-Deutschland hatte die Weltgemeinschaft kein anderes Mittel gefunden als einen vernichtenden Krieg, so fanatisch waren unsere Großväter.

Nahum ist getröstet, weil er weiß, der Unterdrücker wird nicht für immer siegen, die Gewalt einmal enden muss. Gott ist größer.

In der Bergpredigt Jesu finden wir diese Sehnsucht wieder: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“ (Matthäus 5,4-6)

Jesus aber tritt an als ein Held, der anders ist als die Befreier des 7. Jahrhunderts v.Chr. Jesus der Friedefürst. Er geht den Weg des Leides und überwindet Feindschaft mit Liebe. Er hat uns gelehrt, zu vergeben, zu heilen, Brücken zu bauen. Er ist der Friedefürst.

 

Habakuk

Neulich wurde ich darauf angesprochen, dass die Kirche doch nichts mit Politik zu tun habe. Ich habe kurz nachgedacht und musste widersprechen. Es gab Zeiten, wo die Kirche in die private Ecke gedrängt wurde: Sie sollte das Volk erbauen und  still halten. Aber das ist kein biblischer Glaube. Die Propheten des Alten Testaments sind das beste Beispiel.

Habakuk wirkte in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts vor Christus. Er kündigte den Aufstieg der Chaldäer an, ein anderer Name für das Neubabylonische Reich, das 604 v.Chr. bei Karkemisch die Assyrer entscheidend besiegte und sich dann der Eroberung von Syrien-Palestina zuwenden konnte. Ein Sturm für das kleine Land Juda braute sich zusammen. Der Prophet wusste das und versuchte sein Volk geistlich darauf vorzubereiten. Er war ein Zeitgenosse Jaremias, Zefanias und Nahums, die ähnliche Themen bewegten.

Welches sind Habakuks Themen? Ihn belastet die soziale Ungerechtigkeit in seinem Land: „Wo ich hinsehe, herrschen Gewalt und Unterdrückung, Entzweiung und Streit.“  -  „Verbrecher umzingeln den Unschuldigen und das Recht wird verdreht.“

Den heraufziehenden Ansturm der Babylonier deutet Habakuk als Strafe Gottes. Das klingt vielleicht nach Steinzeit-Theologie und Rache-Gott, aber es ist tatsächlich ein entscheidender Theologischer Schritt. Denn in der damaligen polytheistischen Welt ging man davon aus, dass jede Gottheit für ihr Volk kämpft, und mit dem Volk ging auch deren Religion unter, bzw. das Volk unterwarf sich der Religion der Sieger. Nicht so Juda. Als sie durch die Babylonier erobert wurden, nahmen sie auch das Schlimme aus Gottes Hand, von der sie vorher den Segen empfangen hatten. Und nicht nur das: Ohne die Untaten der Babylonier gut zu heißen, begriffen sie ihre Niederlage als Akt der göttlichen Gerechtigkeit. Gott, der sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit hatte, erwartete zurecht von ihnen soziale Gerechtigkeit. Das Herz ihres Gottes war ganz nahe bei den Waisen, den Witwen, den Armen, den Ausländern. Und nun, da die Oberschicht Jerusalems sich zu Ausbeutern und Sklavenhaltern entwickelt hatte, zog Gott seine schützende Hand ab. Feinde kamen und stießen sie vom hohen Ross. Dieser Gedanke ist die Geburtsstunde der Menschenrechte. Jeder, und sei er noch so mächtig, ist vor Gott dafür verantwortlich, wie es den Ärmsten in seinem Einflussbereich geht. Dafür steht Habakuk, zusammen mit den anderen Propheten seiner Tage.

Nach dem Untergang Jerusalems bleibt den Menschen nur noch ihr Glaube. Und so steht in der Mitte des sonst unbekannten Habakuk-Buches ein Vers, den Paulus wieder an entscheidender Stelle zitiert: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ (Hab 2,4 zitiert in Römer 1,17). Hier geht eine theologische Linie von Abraham dem Pilger (1. Mose 15,6) über die Propheten Habakuk und Jesaja in die Mitte des Neuen Testaments. Gott spricht uns an. Um selig zu werden, müssen wir nichts weiter tun, als dass wir seinem Wort glauben. Wer glaubt, der braucht keine Angst mehr zu haben, nicht vor Menschen und nicht vor Gott. Wer glaubt ist frei, zu tun was Gott will.

Habakuk litt unter der Ungerechtigkeit und dem Leiden seiner Mitmenschen. Er brachte die Not vor Gott. So schließt sein Buch mit einem Gebet, dem Psalm Habakuks in Kapitel 3.

Otto Guggemos

 

Zefanja

Das Buch des Propheten Zefanja ist zwar auch nur ein paar Seiten stark, dafür lässt es sich historisch besonders gut einordnen. Vermutlich war der Prophet sogar ein Großcousin des damaligen Königs Josia - des Königs, der mit umfangreichen Reformen viel für die Religion in Juda getan hat, und der sein tragisches Ende fand, als er sich 609 v.Chr. sinnloserweise dem Pharao Necho II bei Har Megiddo entgegenstellte. Zefanja wirkte wohl um das Jahr 620 v.Chr. und war ein Zeitgenosse von Nahum, Habakuk und Jeremia.

Zefanja kannte sich jedenfalls gut in Jerusalem aus. Einige seiner Verse zeigen Jerusalemer Ortskenntnis. Man kann ihn sich vorstellen als Mitglied der Jerusalemer Aristokratie mit einer besonderen Liebe zu Gott und zu seinem Wort. Im Jahre 622 v.Chr. (so berichtet 2. Könige 22,8) wurde bei der Renovierung des Tempels ein Gesetzbuch gefunden (in der Tradition mit dem 5. Buch Mose gleichgesetzt), das eine Reform hin zum Monotheismus in Gang gesetzt hat, weg von der Verehrung der Baale  und anderer heidnischer Götter hin zu dem einen Gott der Väter und der Befreiung aus der Knechtschaft. Zusammen mit König Josia war Zefanja offensichtlich Teil dieser monotheistischen Bewegung. Man darf sich das Königreich Juda in dieser Zeit nicht allzu groß vorstellen, es war nicht viel größer als Oberfranken.

„Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat der HERR euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.“
(5. Mose 7,7-8)

Zefanja war nicht nur religiös interessiert, sondern er sah auch die politische Entwicklung seiner Tage klar voraus. Das assyrische Weltreich, das über hundert Jahre die Geschicke der Region bestimmt hat, war auf dem absteigenden Ast und sollte schon bald vom Aufstieg der Babylonier abgelöst werden. Dass damit katastrophale Kriege und Eroberungen für die Völker und Stadtstaaten verbunden sein würden, war abzusehen.

Aufgrund seines Glaubens kann Zefanja die erwarteten Ereignisse als Handeln Gottes deuten. Er deutet sie als „Tag des Herrn“, an dem Gott Gericht übt über alle Bosheit und Gottlosigkeit der Menschen. Das Gericht Gottes gilt dabei Juden und Heiden, vor Gott sind alle Menschen gleich, sein erwähltes Volk zieht er ebenso zur Verantwortung wie die, die fern von ihm sind. Darin eingeschlossen ist aber auch die Hoffnung, dass nach der Zerstörung neues wachsen kann, und dass die „auf den Namen des HERRN trauen“ (3,12) neues Heil erfahren werden, nicht nur für sich, sondern für alle Völker (3,9-10).

Der bekannteste Vers aus Zefanja ist 3,14: „Jauchze, Tochter Zion.“ Friedrich Heinrich Ranke hat ihn aufgegriffen, als er „Tochter Zion, freue dich“ dichtete, den deutschen Text zum Chorsatz von Georg Friedrich Händel. Der Text dieses Weihnachtsliedes ist voller Anleihen aus den Prophetenbüchern - allen voran aus Sacharja, von dem wir im März an dieser Stelle lesen werden.

Otto Guggemos

 

Haggai

Mit dem Buch des Propheten Haggai betreten wir eine neue Epoche in der Geschichte Israels. Wir befinden uns auf den letzten Seiten des Alten Testaments. Das babylonische Großreich ist Geschichte. Im Jahr 539 v. Chr. zog Kyros, König der Perser, in Babylon ein und wurde dort herzlich willkommen geheißen. Auch Persien war ein Großreich in der Antike, aber es hatte ein humaneres Gesicht als die Reiche der Assyrer und der Babylonier. Der Ruf der Perser ist in der griechischen Geschichtsschreibung nicht besonders gut. Im Gegensatz zu den Babyloniern wollten die nationalen und religiösen Identitäten der unterworfenen Völker nicht auslöschen. Vielmehr sollten die kleinen Völker ihre eigenen Stärken enfalten. So kam es in Israel im 6. Jh. vor Christus zu einer Phase des Wiederaufbaus. Die biblischen Bücher Esra und Nehemia berichten aus dieser Zeit. Ein Erlass des Kyros bezeugt den respektvollen Umgang auch mit dem Monotheismus in Israel und stellt für den Wiederaufbau der Stadtmauern und des Tempels in Jerusalem Geld aus der Reichskasse zur Verfügung.

Natürlich war das nicht einfach. Die Führungsschicht hatte mehr als eine Generation in der „babylonischen Gefangenschaft“ verbracht. Nun gab es viele Rückkehrer, aber auch in Judäa war die Geschichte weitergegangen. Es galt Besitzansprüche zu regeln. Infrastruktur musste wieder aufgebaut werden, widerstreitende Interessen befriedet werden.

Die Perser setzten Serubbabel als Statthalter in Jerusalem ein, einen Enkel des letzten Königs Jojachin. Sicher waren der Wiederaufbau und die Stärkung Jerusalems aus persischer Sicht kein Selbstzweck, sondern dienten auch der Sicherung des Großreichs gegenüber Ägypten. Aber für Juda war es günstig und brachte einen Aufschwung von Kultur, Wirtschaft und Religion. In dieser Zeit wirkte Haggai. Seine vier Prophezeiungen sind mit genauen Datumsangaben datiert, im Jahr 520 v. Chr.

Sein Thema: Prioritäten. Der Wiederaufbau ist mühevoll und langwierig – was soll man zuerst anpacken. Natürlich war es damals nicht viel anders als heute: Jeder war sich selbst der Nächste. Jeder arbeitet an seinem eigenen privaten Wohlstand, Hausbau, Landwirtschaft, Geschäftsbeziehungen. Aber – und das ist sein Thema – mit dem Wiederaufbau des Tempels lässt man sich Zeit. Erst kommt das Eigenheim, dann das Gotteshaus. Haggai hält das für die falsche Reihenfolge. Wundert es euch denn, sagt Haggai, wenn eure Ernten immer geringer werden, solange ihr nur euren Profit im Sinn habt und keine Zeit für Gott? Gott würde euch gerne segnen, aber ihr habt ja gar kein Interesse an ihm. Er sieht den Tempel wie einen Gartenschlauch. Die Menschen wundern sich, dass vorne kein Wasser herauskommt, machen sich aber nicht die Mühe, den Schlauch in Ordnung zu bringen. Wer geizig ist, ist immer arm, wer freigiebig ist, hat immer genug.

„Ihr erwartet wohl viel, aber siehe, es wird wenig; und wenn ihr's schon heimbringt, so blase ich's weg. Warum das?, spricht der HERR Zebaoth. Weil mein Haus so wüst dasteht; ihr aber eilt, ein jeder für sein Haus zu sorgen. Darum hat der Himmel über euch den Tau zurückgehalten und das Erdreich seinen Ertrag.“ (Haggai 1,9-10) Als ich das gelesen habe, dachte ich: Wie bei uns in Heinersreuth! Wie viele gibt es hier, die ein jeder für sein Haus sorgen. Haus, Garten, Auto, Kinder. Alles schön und wichtig, aber dann ist keine Zeit mehr für den lieben Gott. Jedes Jahr haben wir zum Arbeitseinsatz eingeladen auf dem Friedhof und im Kindergarten. Und jedes Jahr habe ich so oft dieselbe Antwort bekommen: „Keine Zeit, ich muss zuerst meinen eigenen Garten machen.“ Besonders verletzt hat mich, wenn dann auch noch kam: „Wenn ihr schon so fleißig seid, könntet ihr bei mir daheim auch noch aufräumen.“

Haggai war damals jedenfalls erfolgreich. Es ging ein Ruck durch die Gemeinde, Gelder wurden gesammelt, öffentliche Gelder beantragt und der Tempel wurde aufgebaut. Serubbabel, der Davidsohn übernahm Leitungsverantwortung und gemeinsam ging es voran. Ein geistliches Zentrum der Antike erstand in neuem Glanz, mit Folgen bis in unsere Zeit.

Wir befinden uns bei Haggai auf den letzten Seiten des Alten Testaments, wir bewegen uns in großen Schritten auf das Neue zu. Serubbabel wurde schon als eine Art Messias gefeiert. Er war ein Abglanz dessen, der kommen sollte. Jesus von Nazareth, Sohn Davids, Heiland der Welt. Im Stammbaum, den Matthäus für die Vorfahren Josefs überliefert, kommt er vor. Bemerkenswert ist auch der Name dessen, der zur Zeit von Serubbabel und Haggai der Hohepriester in Jerusalem war: Jeschua. „Gott hilft“, die hebräische Form des Namens Jesus.

Otto Guggemos

 

Sacharja

„Es weissagten aber die Propheten Haggai und Sacharja, der Sohn Iddos, den Juden in Juda und Jerusalem im Namen des Gottes Israels, der über ihnen war. Da machten sich auf Serubbabel, der Sohn Schealtiëls, und Jeschua, der Sohn Jozadaks, und fingen an, das Haus Gottes zu Jerusalem aufzubauen, und mit ihnen waren die Propheten Gottes, die sie stärkten.“ (Esra 5,1-2) Es muss eine Zeit des Aufbruchs gewesen sein, als damals die Babylonische Gefangenschaft endete. Gemeinsam hat man das große Werk angepackt, Unterstützer gesucht und trotz Widerstand zu Ende gebracht, am 12. März 515 v.Chr. war der Tempel fertig.

Sacharja ist das dickste Buch unter den Zwölf Kleinen Propheten. Es geht zurück auf einen, der damals wohl zum Kreis der Aktiven gehört hat. Sacharja gehörte zu einer Priesterfamilie. Die Bücher Esra und Sacharja berichten sehr genaue Daten. Sacharja hatte am 15. Februar 518 v.Chr. seine erste Vision. Damit trat er zwei Monate nach Haggai auf, die beiden waren Zeitgenossen und zogen an einem Strang.

Erster Hauptteil des Buches sind die acht Nachtgesichte in Kapitel 1-6, Schilderungen von Visionen, die sich alle recht konkret auf die Zeit des Wiederaufbaus im 6. Jh. Beziehen. Kapitel 9-14 enthalten Heilsverheißungen, die viele Kommentatoren einem Späteren zuschreiben, der in der Zeit Alexanders des Großen gelebt haben könnte.

Dieser zweite Hauptteil enthält die große Vision von dem König, der auf einem Esel reitet. Jerusalem soll feiern und jauchzen, denn ihr König kommt nicht hoch zu Ross. Der Friedenskönig ist arm und reitet auf einem Esel. Sacharja 9,9-10 malt dieses Bild, das Jesus sich bei seinem Einzug in Jerusalem zu eigen gemacht hat. Und es heißt dort weiter: Gott will die Wagen wegtun und die Rosse, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern. Wenn man weiß, dass Alexander der große Eroberer (und Zerstörer) seinem Pferd Bukephalos ein eigenes Mausoleum hat bauen lassen - was für ein Kontrast, was für eine Hoffnung!

Die beiden Teile des Sacharja-Buches vereinen Aktualität und Zukunftsvision. Ich finde den Gedanken spannend, dass das Sacharja-Buch ebenso von einem Autor stammen könnte. Denn beides gehört ja oft zusammen: Wer große Visionen hat, der hat auch Kraft und Hoffnung für das Heute etwas zu gestalten. Als ich Vikar in einer kleinen Gemeinde im Brandenburgischen war, gab es dort eine Fahne. Die hatten sich die dort Aktiven als Motto für ihr Gebet und ihre Gemeindearbeit gegeben: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth.“ (Sacharja 4,6).

Sacharja spricht über Personen, die von Gott besonders beauftragt sind und verwendet dabei den Begriff: „gesalbt“ Das heißt auf hebräisch maschiach, auf griechisch christos. Für das Neue Testament ist Jesus von Nazareth - Rabbi Jeschua - der Christus. Nach ihm heißen wir Christen.

Sacharja heißt im Griechischen Zacharias. Auch dieser Name ist uns aus dem Neuen Testament vertraut. Der Vater Johannes des Täufers hieß so. Auch er war ein Priester und auch er durfte teilhaben in der Geschichte Gottes und seines Gesalbten. Des Friedenskönigs, der keine Panzer braucht, sondern der arm ist und auf einem Esel reitet.

Otto Guggemos

 

Maleachi

Mit dem Büchlein Maleachi lesen wir die letzten drei Seiten im Alten Testament. In der Lutherbibel folgt auf der nächsten Seite der Stammbaum Jesu und die Geschichte von Seiner Geburt.

Der Einleitungssatz ist außergewöhnlich kurz: „Dies ist die Last, die der HERR ankündigt über Israel durch Maleachi.“ (1,1) Was bedeutet „Last“? Die gängige Übersetzung des Ursprungswortes lautet „Orakel“. Die Lutherbibel bewahrt die schöne hebräische Metapher: „Last“: Die Botschaft, die Gott seinen Propheten aufträgt, ist oft schwer. Der Mensch, der sie überbringen muss, braucht seine ganze Kraft, um diese Botschaft zu tragen. Und er trägt sie mit seiner Person, er ist ein Zeuge des Redens Gottes. Genau das sagt auch der Name „Maleachi“, übersetzt: „mein Bote, mein Engel“. Weil sämtliche Angaben zu seiner Person fehlen, fragen sich viele, ob Maleachi überhaupt eine Person war, oder eine Überschrift für ein Buch, das anonym bleiben sollte. Manche meinen sogar, dass ursprünglich drei derartige Orakel existierten: Sacharja 9, Sacharja 12 und Maleachi beginnen mit ähnlichen Überschriften. Waren Sacharja 9 bis Maleachi 3 einst ein eigenes Buch? Wir wissen das nicht. Für die zeitliche Einordnung gibt es wiederum einen sehr deutlichen Hinweis: In 1,8  steht der „Statthalter“, im Urtext ein Lehnwort aus dem Akkadischen, das einen Provinzstatthalter (Gouverneur) bezeichnet hat. Vor dem Exil hatte Juda einen König, wir befinden uns also nach dem Exil. Außerdem ist vom Jerusalemer Tempel die Rede. Er steht, sein Bau wird nicht mehr erwähnt. Der Tempel wurde 515 v. Chr. wieder aufgebaut, das Buch ist also im 5. oder 4. Jh. v. Chr. entstanden.

Wie bei allen Propheten sind die Grundthemen soziale Gerechtigkeit und richtiger Glaube – die zwei Gebote, die zusammen das Doppelgebot der Liebe bilden. Allerdings spielt die Verehrung fremder Götzen in Juda zur Zeit Maleachis offensichtlich keine bemerkenswerte Rolle mehr.

Maleachi 2,10-16 kritisiert Ehen, die zwischen Juden und Nichtjuden geschlossen werden. Natürlich geht es dabei um die Reinerhaltung der jüdischen Tradition. Aber wenn man genauer hinschaut, entdeckt man dahinter ein soziales Problem. Der Text ist nicht ganz deutlich und interpretationsbedürftig. Oft wird angenommen, dass die Männer der Oberschicht Ehen mit nichtjüdischen Oberschicht-Frauen anstrebten, die soziale Vorteile versprachen. Weil diese Partnerinnen nicht den Status der Nebenfrau akzeptiert hätten, entließen sie ihre judäischen Frauen.

Einen ganz praktische Vorschlag zum Umgang mit dem Geld macht Maleachi 3,10: Wir sollen Gott „prüfen“, ob er „nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle,“ wenn wir „die Zehnten in voller Höhe“ Gott bzw. seinem Tempel zur Verfügung stellen. Den Zehnten für Gott reservieren, ein Vorschlag, den ich mir als junger Mann zu Herzen genommen habe und seitdem staune, wie Gott mein Leben segnet, so dass ich immer genug habe um zu Teilen.

Maleachi endet mit der Ansage, dass der Prophet Elia wiederkommen wird, ehe der Jüngste Tag kommt. Elia war einer der großen Propheten, die sich in der Königszeit gegen die Macht der Götzen und der Despoten gestemmt haben. Die Verheißung seiner Wiederkunft hat sich fest in den jüdischen Hoffnungen eingegraben. Bis heute ist beim jüdischen Passah-Fest ein leerer Stuhl für den Propheten Elia reserviert. Auch auf diesem Platz steht ein Weinglas. Die Kinder sehen immer wieder hin und schauen nach, ob sich die Menge des Getränkes verringert hat. Markus 8,28 erzählt, dass viele Jesus für den wiedergekommenen Elia gehalten haben. Jesus selbst und die Neutestamentlichen Autoren haben jedoch eher Johannes den Täufer damit identifiziert. Er war der Bote, der dem Friedenskönig den Weg bereitet hat. In Jesus ist der Tag des Herrn schon gekommen.

Otto Guggemos